Grußwort zum Neujahrsempfang der SPD Remscheid

Liebe Genossinnen und Genossen,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der Anfang eines neuen Jahres, mehr aber noch die vielleicht etwas ruhigeren Tage zwischen Weihnachten und Silvester, sollten wir alle gemeinsam zum Durchatmen nutzen. Wie wichtig diese Zeiten des Entspannens, den Nichtstuns, einfach der Muße sind, weiß wohl jeder von uns. Ideen, Einfälle, Kreativität entstehen in der Regel nur aus einer Muße heraus.

Dem gegenüber steht unsere „Beschleunigungsgesellschaft“, die viele immer weiter antreibt und das Gefühl hinterlasst ständig unter Druck zu stehen. Muße ist aber nicht nur für Dichter und Denker wichtig, sondern für jeden von uns. Wir alle brauchen Zeit zum Durchatmen, sonst leiden nicht nur Fantasie und Kreativität, sondern auch die sozialen Beziehungen und letztlich unsere Gesundheit.

Ich wünsche Euch daher für das kommende Jahr bei all den wichtigen privaten, beruflichen und politischen Herausforderungen genug Zeit zur Muße.

Ich wünsche Euch das Alles, auch vor dem Hintergrund der persönlichen Beschleunigungen, die ich in den letzten Wochen, besonders nach meiner Nominierung als Eurer Landtagskandidat erfahren habe. Bereits der Dezember war sehr schnell mit vielen zusätzlichen Terminen, wie der Regionalkonferenz zur Listenaufstellung oder dem ersten Kandidatentreffen in Düsseldorf gefüllt.
Dennoch habe ich mir zwischen den Tagen Zeit genommen, um mir einige öffentliche Diskussionen in den Medien genauer anzusehen.

Das Erscheinungsbild der Bundesregierung – besser gesagt: das Zerrüttungsbild der ehemaligen Wunschpartner – ist Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse in unserem Land. Die Regierung irrt perspektivlos und ziellos umher – auf der Suche nach sich selbst. Einen gesellschaftspolitischen Impuls wird man von ihr nicht erwarten können, wenn Steuersenkungen das einzige Credo des Bündnisses aus CDU/CSU und FDP ist. Kurzum: im siebten Jahrzehnt des Bestehens der Bundesrepublik befinden wir uns nicht nur in der schwierigsten Wirtschaftskrise sondern auch in einer tiefen Sinnkrise über die Grundwerte unserer Gesellschaft und unseres Staates.

Die Kritik an einer präsidialen Kanzlerin, mehr Kanzlerin ist als Parteivorsitzende hat in der CDU gerade erst begonnen. Gut kann ich mich genau an diese Diskussion zu Zeiten von Gerhard Schröder erinnern. Ich sage dass hier nicht aus Schadenfreude oder aus Mitleid.

Ich sage dass hier, um deutlich zu machen, welche wichtige gesellschaftliche Aufgabe uns in der Opposition nunmehr zukommt. Wir müssen die Diskussionen jenseits der täglichen Arbeit einer Bundesregierung führen. Wir müssen die Fragen jenseits dieser Arbeit stellen.

Wir brauchen keine Diskussionen über Steuersenkungen, die wir uns nicht leisten können. Wir brauchen – dringender denn je – eine gesellschaftspolitische Debatte über das, was den Menschen in unserem Land wichtig ist, wonach sie streben und in welcher Gesellschaft wir künftig leben wollen.

Eine Diskussion, die wir – das sage ich durchaus selbstkritisch – im zurückliegenden Jahrzehnt aus den Augen verloren haben.

Besonders bewegt hat mich das Grundsatzreferat Erhard Epplers auf dem Bundesparteitag im vergangenen November in Dresden. Er erinnerte uns mit seinem klaren Worten an den Godesberger Parteitag im Jahr 1959. Zehn Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und einigen verlorenen Bundestagswahlen wurde, wie Eppler so treffend formuliert: „der Abstand zwischen […] Realität und Programm verringert.“

Im Hamburger Programm daher die klare Mahnung „Unser Verständnis der Grundwerte bewahrt uns davor, Freiheit auf die Freiheit des Marktes, Gerechtigkeit auf den Rechtsstaat, Solidarität auf Armenfürsorge zu reduzieren“

Im Kern ist es die Aufgabe aus unseren Grundwerten politische Wirklichkeit zu machen. Das ist besonders schwierig, weil auch andere zum Teil die gleichen Grundwerte haben oder zumindest die gleichen Begriffe verwenden.

Überrascht war ich zum Beispiel als die Weihnachtsbotschaft des Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Zollitsch mit den Worten „Aufruf zur Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ zusammengefasst wurde.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Was können Sozialdemokraten in dieser Zeit unternehmen, um mehr Vernunft in die Welt zu bringen, um den Armen und Hungernden zu helfen, um den Frieden zu verteidigen?

Diese Frage stellt sich nicht ausschließlich der deutschen Sozialdemokratie. Sie ist eine der zentralen Fragen, die Sozialdemokraten und Sozialisten in unserer Welt bewegt – in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft. Sie verbindet uns mit unseren Freunden in allen Ländern der Welt. Als internationalistische Bewegung kann und darf es uns nicht gleichgültig sein, wenn Menschen ohne Sicherheit leben müssen.

Dabei verstehe ich den Begriff der Sicherheit nicht im Sinne der aktuellen Debatte über den Einsatz von Überwachungsmethoden zur vermeintlichen Prävention von Terroranschlägen.

Sicherheit bedeutet im Kern, die Abwesenheit von Angst und Furcht. Sicherheit bedeutet Frieden. Frieden ist dabei mehr als die bloße Abwesenheit von Krieg.

Ich greife dies auf, weil wir alle in den zurückliegenden Wochen und Monaten Zeugen einer prekären Debatte wurden.

Die Diskussion, die wir heute führen, hat im Spätsommer des letzten Jahres begonnen. Im Tagesbericht von Oberst Klein heißt es: „Am 4. September entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. Septembers entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (auf Deutsch: Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten.“

Die Taschenkarte der Bundeswehr – eine Zusammenfassung der allgemeinen Dienstanweisungen für die Soldaten vor Ort – formuliert recht deutlich die Möglichkeit, dass mit militärischer Gewalt gegen Personen vorgegangen werden kann, die bereits ein feindseliges Verhalten zeigen. Der Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan hat sich immer mehr ausgeweitet. Gleiches gilt für die Einsatzregeln vor Ort.

Der Untersuchungsbericht der ISAF spricht später jedoch nicht von einer konkreten Gefahr für das Bundeswehrlager. Zugleich bot der amerikanische Pilot, der den Befehl der Luftunterstützung ausführte, eine Tiefflug über den Fluss an, um die Menschen auseinander zu treiben. Oberst Klein lehnte ab. Es handelt sich bei dem was in Kundus geschah, um den folgenschwersten Angriffsbefehl eines Bundeswehroffiziers, der 142 Menschenleben forderte.

Herr von Guttenberg forderte in seiner forschen Art klare Worte und bemängelte, dass wir „Meister des Eiertanzes“ sind. Erstmals spricht ein Deutscher Verteidigungsminister von „kriegsähnlichen“ Zuständen.

Die öffentliche, heftige und auch beklommene Debatte zeigt jedoch – glücklicherweise: Wir können uns und wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass deutsche Soldaten im Auslandseinsatz töten und sterben. Es gibt immer noch Menschen, die sich an das schwere Erbe erinnern. Das ist gut und wichtig.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Wir stehen am Anfang einer Debatte. Einer Debatte, die grundlegender kaum sein kann. Wir reden über Krieg und Frieden.

Eine Debatte, die nicht einfach ist. Die mit viel Fingerspitzengefühl und Ernsthaftigkeit zu führen ist. Die sich auf gar keinen Fall für Polemik eignet oder gar parteipolitisch ausgeschlachtet werden darf. Einfache Ja- oder Nein-Antworten gibt es nicht.

Dies fällt schon auf, wenn ich mich nur an die sehr zurückhaltenden Worte Barack Obamas bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises erinnere. Er sieht Fälle in denen es eine moralische Pflicht zum Einsatz von Gewalt geben mag.


Liebe Genossinnen und Genossen,

ich will diese Debatte hier nur anstoßen und schon gar nicht meine Meinung als die abschließende und herrschende Meinung präsentieren.

Nach Erhebung des Heidelberger Institut für Konfliktforschung gibt es derzeit weltweit mehr als 396 Konflikte, deren Intensität in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Jeder Konflikt mehr – jede gewalttätige Auseinandersetzung, ob im Inneren eines Staates oder über dessen Staatsgrenzen hinaus, ist ein Konflikt zu viel.

Zunächst einmal besteht kein Zweifel, dass völkerrechtlich der Einsatz in Afghanistan klar definiert und eine feste Grundlage hat. Die Völkergemeinschaft hat sich selbst klare Regeln gegeben und diese im Gegensatz zum damaligen Krieg im Irak beachtet. Gleiches gilt für den Einsatz der Bundeswehr.

Hieran haben Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier in einem offenen Brief an die Bundeswehrangehörigen in Afghanistan deutlich erinnert. Aufgabe war es zunächst das Land militärisch zu stabilisieren und dann wirtschaftlich und politisch aufzubauen. Eine solche Entwicklung im Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklungshilfepolitik soll den Unterstützern des Terrors den Nährboden entziehen. Ebenso sollten keine Zweifel daran bestehen, dass der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zeitlich begrenzt sein muss.

In einer solchen Debatte und besonders vor dem Hintergrund der Ereignisse darf aber auch die Frage gestellt werden, ob dieses Ziel der militärischen Stabilisierung gescheitert ist. Es darf kein Dauerzustand für die Menschen in Afghanistan bleiben, dass der militärische Einsatz immer weiter ausgedehnt wird und es zu so verheerenden Ereignissen wie in Kundus kommt. Dies hat ganz überwiegend damit zu tun, dass sich die Angriffe auf die ISAF-Kräfte verschärft haben. Allein im letzten Jahr stiegen die Angriffe um mehr als 60 Prozent.

Liebe Genossinnen und Genossen,

Ihr seht eine solch fundamentale Frage, kann fast nie ohne den Bezug zu einem konkreten Konflikt geführt werden. Je nach Einzelfall, je nach Konflikt, je nach Situation, wird sich vielleicht von dem ein oder anderen ganz anders gesehen.

Krieg und Frieden“ von Leo Toilstoi ist ja auch nicht eine theoretische Abhandlung über den Krieg wie die Schriften von Carl von Clausewitz. Sondern es ist eine Familiensaga im Zeichen napoleonischen Feldzüge in Russland. Eine Geschichte mit konkreten Einzelschicksalen.

Im Vordergrund steht immer ein konkreter Konflikt und die individuelle Bedrohung für Menschen. Im Hintergrund muss die eigene grundlegende Einstellung, aber auch diesem Einzellfall stand halten. Gerne will ich als Pazifist immer und jeder Zeit jede Gewalt, auch jede militärische Gewalt ablehnen. Es gelingt mir aber nicht immer.

Es mag nur wenige Friedfertige geben, wie Martin Luther King oder Ghandi, denen ein dauerhaftes Festhalten am Pazifismus über ein ganzes Leben gelingt.

Ich will hier nur an ein Ergebnis erinnern, dass mich als junger Mensch sehr bewegt und irritiert hat. In diesem Jahr ist es 15 Jahre her, dass es nur weniger als 2000 Kilometer von hier entfernt zu einem schrecklichen Genozid an mehr als 8000 Menschen gekommen ist. Gemeint sind die Ereignisse in Srebrenica. Ein Völkermord unter den Augen einer niederländischen „Schutztruppe“, die nicht das Recht hatte, zivile Opfer zu verteidigen. Die Zerrissenheit über die Frage nach Krieg oder Frieden war in den Niederlanden zu spüren. Die niederländischen Soldaten kehrten schwer traumatisiert heim und der sozialdemokratische Ministerpräsident Wim Kok übernahm die politische Verantwortung und trat mit der gesamten Regierung zurück.

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir sollten neben den alltäglichen politischen Aufgaben, nicht die wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen vergessen. Lasst uns die Zeit nehmen, wieder einmal grundlegende Fragen zu diskutieren. Lasst uns nicht von der „Beschleunigungsgesellschaft“ nur die kurzfristigen Themen diktieren. Lasst uns mit den Menschen in unserem Land über die drängenden Fragen von Gegenwart und Zukunft debattieren. Das ist unsere Aufgabe. Das ist unsere Herausforderung. Dafür wünsche ich uns im neuen Jahr die nötige Kraft. Ich wünsche Euch und Ihnen für das neue Jahr 2010 alles Gute!